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»Von mir aus!«, antwortet sie und ich weiß nicht, ob sich
das auf den Kuchen oder ihre Großmutter bezieht. In
letzter Zeit haben ihre Antworten immer so einen Hauch
von Gnädig-Sein. So, als müsse man schon dankbar sein,
dass sie überhaupt antwortet. Selbst Mark, mein Sohn,
wird von Woche zu Woche wortkarger. Wenn das hier so
weitergeht, kann ich bald Selbstgespräche führen.
Wenigstens meine Mutter ist in Plauderlaune. Um nicht
zu sagen, sie redet auf mich ein, und ich komme so gut
wie gar nicht zu Wort. Wie mein Vater. Aber der kennt
das ja schon ewig und scheint es auch nicht weiter
schlimm zu finden.
Ich höre mir mal wieder Geschichten von meiner wun-
derbaren Schwester an. Wie gut die ihre Kinder, ihren
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Mann, ihr Leben und sogar den Hund im Griff hat. Diese
Lobhudelei trägt nicht wirklich zu einem besseren Ver-
hältnis zwischen uns Schwestern bei. Es schürt eine ge-
wisse Konkurrenz. Ich weiß, dass meine Schwester für
die Tiraden meiner Mutter nichts kann, aber gute Laune
machen sie mir nicht und insgeheim mache ich wahr-
scheinlich zu Unrecht sogar meine Schwester dafür
verantwortlich. Obwohl ich nicht weiß, ob sie sich nicht
Ähnliches über mich anhören muss.
Eigentlich sollte ich meine Mutter ja mittlerweile kennen,
aber trotzdem hoffe ich jedes Mal, sie würde mich besu-
chen, um eventuell etwas von mir zu erfahren und sich
erkundigen wollen, wie es mir geht oder einfach nur mal
zuhören.
Meine Eltern finden Christophs Golf-Leidenschaft phan-
tastisch. Wen wundert s sie spielen selbst auch Golf.
Die Überraschungsreise nach Mallorca eine grandiose
Idee. Meinen zaghaften Einwand, »Aber ihr wisst doch,
ich spiele gar kein Golf«, halten sie für kleinlich.
»Man steht nicht immer an erster Stelle, Andrea!«, befin-
det meine Mutter streng.
Toller Witz! Immer! An erster Stelle! Wäre es nicht ei-
gentlich traurig, müsste ich lachen. So schlucke ich die
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Bemerkung einfach nur runter. Debatten mit meiner Mut-
ter bringen wenig. Ihr Weltbild ist fest zementiert.
Claudia sagt wie meistens nichts. Sie stopft sich drei
Stücke Kuchen rein und fragt dann immerhin, ob sie
hochgehen könne.
»Ich muss noch was lernen!«, ist ihr Argument.
Natürlich, was sonst. Lernen ist ja definitiv ihre Passion.
An der Treppe dreht sie sich noch mal um:
»Und außerdem muss ich mir überlegen, was ich in den
Ferien mache. In eurer Planung finde ich ja nicht mal
mehr statt!«
»Ach, die Pubertät«, bemerkt meine Mutter nur trocken,
»ich erinnere mich, ihr wart furchtbar.«
Mark, inzwischen vom Kicken zurück, schwärmt seinen
Großeltern vom baldigen Fußballcamp vor. Rudi sagt fast
nichts. Meine Mutter schüchtert ihn ein. Immerhin
einmal wendet sie sich in ihrem Redefluss an ihn.
»Und Rudi geht s besser?«, fragt sie, um dann direkt
selbst die Antwort zu geben: »Na ja, wie sagt man so
schön, die Zeit heilt alle Wunden, und andere Mütter ha-
ben ja auch schöne Töchter.«
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Rudi verzieht das Gesicht. Ich habe Angst, er könnte
gleich zu weinen anfangen.
»Diese Wunde wird nie heilen!«, sagt er nur knapp. »Es
gibt keine zweite Inge.«
Meine Mutter schaut verwundert. Sie ist keinen Wider-
spruch gewöhnt. »Warten wir es einfach ab!«, beendet
sie das Thema. Sie behält gern das letzte Wort. Rudi
guckt sie an, als wolle er ihr die Augen auskratzen. Aber
wahrscheinlich meint sie es nicht mal böse. Wahrschein-
lich ist ihr diese unglaubliche, tiefe und unendliche Liebe
nur fremd. So wie augenscheinlich auch mir. Jedenfalls
bisher. Ist das was Genetisches? Bekommt man diese Fä-
higkeit vererbt? Kann man einfach nur lieben ohne
Wenn und Aber? So absolut.
»Andrea, ich habe dich was gefragt!«, unterbricht meine
Mutter meine melancholischen Gedanken.
»Was war das noch gleich?«, frage ich zurück. Ich habe
die Stimme meiner Mutter einfach ausgeblendet. Abge-
schaltet.
»Ob du heute Abend in den Golfclub fährst, zur Sieger-
ehrung und dem Essen?«
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»Nein, Mama«, antworte ich, »ich denke nicht.« Eine
Erklärung erspare ich mir. Wozu auch, sie würde sie so-
wieso nicht verstehen. Schade.
Der Nachmittag geht rum. Meine Mutter legt mir noch
mal ans Herz, doch in den Golfclub zu fahren.
»Du ziehst dir was Nettes an und überraschst deinen
Mann!«
Und dann sind sie weg.
Rudi schaut mich nur mitleidig an. »Harter Brocken!«, ist
sein Kommentar, und ich nicke nur.
Christoph kommt weit nach Mitternacht nach Hause. Er
ist bester Laune, was sicherlich auch auf das eine oder
andere alkoholische Getränk zurückzuführen ist. Im
Halbschlaf hält er mir irgendetwas vor die Nase.
»Ich war dritter in meiner Klasse. Zweiundvierzig Netto-
punkte. Ich habe mich unterspielt. Es war Wahnsinn. So
ein schöner Tag! Guck dir mal den Pokal an!«
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